Interview mit Felix Schiller

Interview mit Felix Schiller

Beim Literaturfestival „zwischenmiete“ wirst du unter anderem aus deinem Gedichtzyklus „darwins kollegen“ vorlesen. Woher kommt dein Interesse an der Evolutionstheorie?

Ich denke, aus philosophischen Fragestellungen: Wie und unter welchen Bedingungen formieren sich welche Arten von Wissen? Woher kommt das Leben, was sind seine Prinzipien? Welche Einstellungen kann und soll der Mensch zu Tieren, Pflanzen, unbelebten Stoffen einnehmen, wie sich dazu verhalten? Soll sich der Mensch in Richtung eines Transhumanismus verändern? Was geht verloren, was gewinnen wir, wenn wir so weitermachen? Die Evolutionstheorie prägt unser Wissen über die Natur und die Geschichte des Lebens und dadurch auch unser Selbstbild. Zugleich hat sie selbst eine spannende Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. Sie war als Gegenstand eine gute Möglichkeit für mich, Naturgedichte zu schreiben. Frühere Texte sind daran gescheitert, dass ich versucht habe, meine unmittell.bare Naturerfahrung darzustellen, was aber leerer Verweis geblieben ist. Die Texte ließen sich auf Aussagen reduzieren: zum Beispiel dass die Natur schön, verschmutzt, kausal geregelt, einschüchternd, verwandt, geordnet oder ungeordnet, einfach sie selber oder gar nicht mehr sie selber sei. Ich finde, so geht das nicht. Ich habe dann den Umweg gesucht: die Natur (und die Geschichte ihrer Erkenntnisformen) ins Gedicht zu holen über ihre Widerspiegelungen im Leben von Menschen, die sich dem Verstehen der Natur verschrieben haben.

Außerdem bietet mir die Evolutionstheorie auch Material für ein Bild, das mir die Bedeutung der Poesie klarer werden lässt: Gedichte sind auch zufällige Mutationen der Sprache, die ihre Formen und Erscheinungsweisen erweitern und verändern und für den/die Einzelne/n manchmal dazu führen, dass sich die Sprache so in der Nische der eigenen Existenz einfindet, dass ein Überleben möglich ist.

In „darwins kollegen“ widmest du jedem Naturforscher ein Sonett. Aus welchem Grund hast du diese klassische, auf den ersten Blick eher unflexible Form gewählt?

Weil ich eine Form gebraucht habe, die den Gegenstand einerseits hervorhebt und ihn andererseits herausfordert. Der Sonettenkranz war da ein gutes Scharnier. Weil dabei das 15. Sonett (in »darwins kollegen« Charles Darwin gewidmet) aus den letzten Versen der vorherigen 14 Sonette zusammengesetzt ist, konnte ich schon in der Form andeuten, dass die Formulierung der Evolutionstheorie keine Schöpfung eines einzelnen genialen Naturinterpreten war, sondern sich in einem Netzwerk aus Personen, Orten, Institutionen, Theorieansätzen etc. ergeben hat. Da waren Inhalt und Form also gleichgerichtet. Gleichzeitig fand ich dann die Unmöglichkeit des Porträtgedichts spannend, jeweils ein ganzes Leben und die daraus und darin entstandenen Ansichten über die Natur in eine solche starre Form zu bringen. Das ist gegengerichtet, muss schon im Ansatz scheitern. Ich habe dann ein mögliches Trotzdem gesucht (was für mich die Kraft der Poesie überhaupt ist: mögliche Formen eines Trotzdem im Unmöglichen zu schaffen). Es ist diese Kollision der Stofffülle mit den Beschränkungen der Form und daraus der Zwang zur Dichte, den ich beim Schreiben mochte.

Deine Abschlussarbeit hat ein philosophisches Thema. Was reizt dich am literarischen Schreiben, im Gegensatz zur reinen Philosophie?

Es sind für mich verschiedene Zugänge zu den philosophischen Fragen: Was ist das Leben? Was ist der Mensch? Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Was kann ich hoffen, was wissen, was soll ich tun? Wenn ich Philosophie lese und schreibe, werden mir diese Fragen erörtert, durch die Abstraktion wird der Druck ein wenig kleiner, den sie ausüben: es ist der Raum für den Glauben an eine ernsthafte Kontrolle. Wenn ich Poesie lese und schreibe, werden mir diese Fragen dringlich und nahe, sie beziehen sich auf mich, jetzt, hier, konkret und spielerisch: es ist für mich der Raum, in dem ich einüben kann, die Kontrolllosigkeit zu akzeptieren und das Einzelne gelten zu lassen. Dort können für mich die Dinge, die Sprache, die Stimmen zu ihrem Recht kommen, einfach da zu sein. Das empfinde ich als sehr tröstlich.

Im vergangenen Jahr bist du beim Literaturwettbewerb „open mike“ ins Finale gekommen. Wie ist es, die eigenen Texte vor größerem Publikum vorzutragen?

Angsteinflößend und schön. Zuerst aber angstbringend: die vielen ZuhörerInnen, die Jury aus erfahrenen AutorInnen. Dann schön ab dem Moment, wo die Stimme über den Text fährt: da ist es dann egal, ob kleineres oder größeres Publikum.

Das Interview mit Felix Schiller führte Sofia Schneeweiss